Die Stadionuhr zeigt 15:11 Uhr, als sich das Leben des Neven Subotic schlagartig drehen soll. Mit dem FSV Mainz spielt der Nachwuchsverteidiger auswärts in der zweiten Fußballbundesliga. Experten trauen dem 18-Jährigen eine große Karriere zu, auch FSV-Trainer Jürgen Klopp setzt auf ihn. An diesem Tag ist das Spiel umkämpft, nach einer Ecke herrscht Chaos im gegnerischen Strafraum. Nur Subotic scheint zu wissen, was er tut. Sekundenbruchteile später trudelt ihm der Ball vor die Füße.

Und Subotic schießt.

Es ist ein Schuss, der für ihn alles verändern wird. Mal wieder. Umwälzungen, Wandel – so was kennt auch der junge Neven schon. Doch was der Schuss beruflich für ihn auslösen wird, kann er nicht ahnen. Und dass er sich eines Tages sogar noch mal komplett neu erfinden, den Fußballer hinter sich lassen wird, erst recht nicht. Aber dazu später mehr.

Veränderungen also – darum soll es gehen auf diesen Seiten. Und seien wir mal ehrlich: Fühlt es sich nicht so an, als sei nie mehr Veränderung gewesen als heute? In der Arbeitswelt zum Beispiel. Automatisierung, Digitalisierung, KI, neue Job-Profile, von denen man vor ein paar Jahren nicht einmal ahnte, dass es sie je geben könnte. Wie kommt man klar mit so viel Neuem?

Zahnwurzelbehandlung ohne Betäubung – aus Geldmangel

„Veränderungen hat es immer gegeben, seit den Neandertalern!“, sagt Kerstin Karuschkat, Transformations-Expertin und Chefin der Personalberatung 3k in Köln. Seit über 20 Jahren berät Karuschkat Unternehmen zum Thema Wandel. Auch in früheren Phasen technischen Fortschritts habe Veränderung für Unsicherheiten und Ängste gesorgt. „Aber da hat man noch nicht auf Social Media drüber diskutiert.“ Trotzdem seien Veränderungen gerade in der Arbeitswelt vor allem: wertvoll! „Weil sie am Ende immer Mehrwerte schaffen. Für die Unternehmen, die Wirtschaft. Aber in erster Linie für den Menschen.“

In der Glitzerwelt des Profifußballs gilt das auch für Jungprofi Neven Subotic. Sein Schuss schlägt an jenem Nachmittag unhaltbar links unten im gegnerischen Tor ein. Am Tag danach steht der Jungprofi vor einer TV-Kamera und erzählt, wie sich das anfühlt, dieser Erfolg im Job. „Die ersten Sekunden nach dem Ding willst du einfach alles zerreißen, du bist so glücklich!“

Subotics Karriere nimmt Fahrt auf. Schnell wechselt er nach Dortmund, wird zweimal Meister, Pokalsieger. Zeitweise gilt er als einer der besten Innenverteidiger des Kontinents, mit dem ebenfalls noch jungen Mats Hummels bildet er in der Abwehr des BVB den „Kinderriegel“. Fußball? Ganz klar, das ist sein Leben!

Der Lohn: Schon in jungen Jahren verdient Subotic siebenstellig. Auch das ist neu: Viel Geld zu haben, das kennt er nicht. Bei null anzufangen, alles Gewohnte zurückzulassen schon. Geboren im bosnischen Banja Luca flieht der kleine Neven in den 90er Jahren vor den Kriegswirren nach Deutschland. Die Familie lebt im Schwarzwald, der Vater schuftet auf dem Bau, Neven kickt beim TSV Schwarzenberg. Nach zehn Jahren der nächste Bruch: Die Abschiebung droht. Wieder ein Neuanfang, die Subotics gehen in die USA. Dort ist das Geld weiter knapp, Neven nicht krankenversichert, einmal muss er eine Zahnwurzelbehandlung ohne Betäubung über sich ergehen lassen.

Großes Haus mit Jacuzzi, vier Autos, ein Motorrad, Partynächte, und dann, plötzlich: die Sinnfrage

Doch er spielt Fußball, so gut, dass Europas Scouts auf ihn aufmerksam werden. Und jetzt, als BVB-Profi, hat Subotic plötzlich Kohle ohne Ende. „Ich hab mir alles gegönnt, ein riesiges Haus mit Jacuzzi angebaut, den ich gar nicht benutzte.“ Im Autohaus bestellt er einmal zwei Boliden auf einmal. Am Ende werden vier Autos und ein Motorrad in seiner Garage parken. „Ich habe so gelebt, weil ich jung und dumm war, ein krasses Gehalt hatte und mich an einem Fußballer-Stereotyp orientiert habe“, sagt Subotic heute. Doch so süß das Profileben auch ist, so sehr er den Applaus der Massen genießt – schon früh gären Zweifel in ihm. Warum erfüllt mich das alles nicht? Wo ist die Bedeutung dessen, was ich beruflich tue? Muss ich was verändern? Zack, da ist sie: die Frage nach „Purpose“, dem Sinn der Arbeit!

Panik vor Veränderungen oder einem Neuanfang macht alle gleich

Transformations-Expertin Kerstin Karuschkat wundert das nicht. „Ich kenne keinen Menschen ohne Zweifel über seine Berufstätigkeit.“ Entscheidend sei der richtige Umgang damit. „Das Wichtigste ist, etwas Sinnstiftendes zu tun, mit Kollegen gut klarzukommen, gut eingebunden zu sein.“ Und wenn nicht? Karuschkat: „Dann muss man was verändern. Egal ob in der Bundesliga oder im mittelständischen Betrieb.“

Das macht auch Subotic. Noch als aktiver Profi reist er in den Sommerpausen nach Afrika, beschäftigt sich intensiv mit Trinkwasserversorgung und Brunnenbau. 2012, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, gründet er eine eigene Stiftung, die well:fair foundation (ehemals Neven Subotic Stiftung). Seine Mission seither: möglichst vielen Menschen den dauerhaften Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen. 2021 beendet er seine Karriere, „seither habe ich vor keinen Ball mehr getreten“.

Sich beruflich so komplett neu zu erfinden – dürfte das einem millionenschweren Fußballstar nicht leichter fallen als uns Otto-Normal-Arbeitnehmern? Personalberaterin Karuschkat bezweifelt das. „Die Angst vor Veränderungen teilen wir alle“, sagt sie. Vom Berufseinsteiger, der plötzlich glaubt, in der falschen Branche gelandet zu sein, bis zum erfahrenen Firmenboss, „die Panik vor einem Neuanfang macht uns alle gleich. Aber man muss sich ihr stellen“.

Wie Ex-Profi Subotic. „Ich hatte eine wunderschöne Zeit im Fußball“, sagt er heute. „Die ist nicht weg, die verjährt auch nicht. Aber sie spielt keine Rolle mehr in meinem Leben.“

Das große Haus mit Jacuzzi, die vier Autos hat Subotic längst verkauft, das Motorrad auch. Er fährt heute lieber Bus und Bahn, sagt er.

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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