Wer kennt das nicht: Eine neue E-Mail macht „bling“, das Smartphone brummt, der Kollege hat mal schnell eine Frage… Ablenkung pur. Oft, immer wieder, den ganzen Arbeitstag lang. „Da konzentriert zu bleiben, ist eine Herausforderung“, weiß Professorin Louisa Kulke von der Uni Bremen. Die Entwicklungspsychologin forscht an Methoden, wie man mit solchen Ablenkungen besser zurechtkommt. aktiv hat darüber mit ihr gesprochen – und über ihre praktischen Tipps.

Frau Professorin Kulke, was genau ist eigentlich Konzentration?

Konzentration ist die Fähigkeit, Aufmerksamkeit für eine längere Zeit aufrechtzuerhalten. Diese Aufmerksamkeit kann sich auf bestimmte Gegenstände beziehen oder auf das, an dem man gerade arbeitet. Unter Konzentration versteht man aber auch eine bestimmte Wachsamkeit, die man in Phasen des Nichtstuns aufrechterhalten muss.

Wie lange können wir denn konzentriert arbeiten?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. In den 70er Jahren gab es dazu Studien, die haben gezeigt, dass wir uns wohl lediglich 10 bis 15 Minuten richtig gut konzentrieren können – also nur eine relativ kurze Zeit. Es gibt da aber leider keine allgemeingültige Regel.

Dann ist es umso wichtiger, Anzeichen dafür erkennen, dass die Konzentration schwindet.

Richtig. Dabei ist es wichtig, dass wir uns selbst ganz bewusst kontrollieren. Dann können wir ziemlich schnell erkennen, wenn wir abschalten. Ein Beispiel: Wir lesen ein Buch oder einen längeren Text. Wenn wir am Ende einer Seite innehalten und uns fragen, was denn am Anfang dieser Seite stand, und das nicht beantworten können, dann ist das ein Warnsignal: Wir können diese neuen Informationen gerade einfach nicht mehr verarbeiten. Die Konzentration ist abhandengekommen. Es ist also Zeit für eine kurze Pause. Lesen Sie auf aktiv-online.de dazu auch, was etwa Raucher in der Pause beachten müssen.

Und wie sollte diese Pause dann aussehen?

Einfach ausgedrückt ist eine Pause genau das, was wir gerade nicht getan haben. Haben wir gelesen oder am Bildschirm gearbeitet, sollten wir aufstehen, uns bewegen, vielleicht uns kurz die Beine vertreten, um etwas anderes zu sehen. War die Arbeit hingegen körperlich anstrengend, sollten wir uns eine Ruhepause gönnen, da dürfen wir im Pausenraum auch mal aufs Handy schauen. Es geht darum, dem Gehirn jeweils neue Reize zu vermitteln, um es wieder anzuregen. Denn aus neurowissenschaftlicher Sicht ist unser Gehirn extrem effizient: Es passt sich der jeweiligen Aufgabe schnell an – reagiert dann aber immer weniger auf die vorhandenen Reize. Deshalb braucht es andere Reize, um sozusagen neu gestartet zu werden. Danach können wir uns dann wieder besser konzentrieren.

Wir sollen unser Gehirn also reizen? Das hört sich nach Stress an…

Stress kann ja durchaus positiv sein! Es kommt immer auf das Stress- oder Erregungsniveau an. Anders gesagt: Es gibt immer ein optimales Stressniveau für die jeweilige Aufgabenschwierigkeit. Gehen wir an schwierige Aufgaben, bei denen wir viel denken müssen, sollten wir möglichst entspannt und unaufgeregt sein. Dann können wir uns besser konzentrieren. Bei einfachen, ja: langweiligen Aufgaben lohnt es sich dagegen sogar, den Stresslevel zu erhöhen. Da sollten wir zusätzliche Reize schaffen, um das Gehirn zu aktivieren. Da kann also etwas Musik oder eine Tasse Kaffee helfen.

Was heißt das für die Organisation unseres Arbeitsalltags?

Wenn möglich, sollten wir die unterschiedlichen Aufgaben während eines Arbeitstages eben so organisieren, dass Stresslevel und Schwierigkeit der Aufgabe gut zusammenpassen. Wenn wir wissen, dass wir morgens besonders konzentriert sind, sollten wir schwierige Aufgaben direkt morgens erledigen. Wenn wir hingegen gerade eine sehr einfache und langweilige Aufgabe vor uns haben, können wir zum Beispiel etwas Hintergrundmusik anschalten. Ebenso wichtig ist es, unerledigte oder angefangene Arbeiten zügig zu Ende zu bringen.

Warum das?

Weil unerledigte Aufgaben Kapazitäten im Gehirn binden, die wir eigentlich benötigen, um uns voll auf die vor uns liegende aktuelle Aufgabe zu konzentrieren. Helfen können dabei To-do-Listen: Das Aufschreiben der zu erledigenden Punkte führt dazu, dass wir nicht mehr nebenbei an diese zukünftigen Aufgaben denken und so abgelenkt werden. Außerdem motiviert es, wenn eine Arbeit beendet ist, also ein Punkt auf der Liste, und wir ein Häkchen setzen können. Ähnlich verhält es sich mit den unterbrochenen Aufgaben: Sie merken wir uns leider viel besser als erledigte Dinge. Das blockiert unser Gehirn und schwächt die Konzentration. Außerdem kostet das ständige Wechseln zwischen den Aufgaben zusätzlich Zeit und Konzentration, weil wir uns ständig wieder in die Aufgabe reindenken müssen. Deswegen ist es sinnvoll, erst eine Aufgabe wirklich abzuschließen und danach mit der nächsten anzufangen.

Also sind wir gar nicht multitaskingfähig?

Nein, da muss ich Sie enttäuschen: Für ein echtes Multitasking ist unser Gehirn leider nicht ausgelegt. Immerhin kann es aber viele verschiedene Aufgaben in sehr schneller Folge abarbeiten.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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