Grüner Wasserstoff, erzeugt mit der Kraft von Wind oder Sonne: Das ist die Zauberformel der Zukunft, besonders mit Blick auf die Transformation der Chemie. Leider steht diese Energie der Zukunft längst noch nicht in ausreichender Menge zur Verfügung: Dafür müssen die erneuerbaren Energien, die Infrastruktur für den Transport und die Speicherung von Wasserstoff (H2) sowie die H2-Importe massiv ausgebaut werden. Welche Branche das knappe Gut zuerst erhalten soll und wie der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in die Gänge kommt, das erklärt Professor Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie im Gespräch mit aktiv.

Herr Fischedick, warum ist grüner Wasserstoff so beliebt?

Einerseits wegen des Bezugs zu den erneuerbaren Energien, die eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung haben. Andererseits erkennt man, dass Wasserstoff als Komponente in Industrie und Energiewirtschaft notwendig ist, um eine treibhausgasneutrale Gesellschaft zu schaffen. Das ist bei vielen durchaus angekommen.

Wo stehen wir beim Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in NRW?

In Europa sind wir noch relativ am Anfang. NRW ist insofern gut aufgestellt, als hier seit 30 Jahren Forschung betrieben wird. Es gibt viele Demonstrationsprojekte und sehr gute Forschungsinstitutionen wie das Zentrum für Brennstoffzellen-Technologien in Duisburg, die RWTH Aachen und das Forschungszentrum Jülich. Zudem gibt es eine kritische Masse von Wirtschaftsakteuren, die bereit sind, in Wasserstoff zu investieren. Ein bekanntes Beispiel ist Thyssenkrupp, das mit grünem Wasserstoff klimaneutral Stahl erzeugen will. Ein weiterer Vorteil von NRW ist die Nähe zu den großen Windenergie-Standorten im Norden sowie zu den Niederlanden und Belgien, wo wir sehr schnell an die vorhandenen Importstrukturen anknüpfen können.

Ist es sinnvoll, Wasserstoff per Müllverbrennung zu gewinnen, Busse mit Wasserstoff zu betanken oder Wasserstoff aus importiertem Ammoniak zu erzeugen?

Wir befinden uns momentan in einer Phase, in der wir viele Pilot- und Demonstrationsprojekte brauchen, um Erfahrungen bei der Erzeugung und Anwendung zu sammeln. Anders ausgedrückt: Wir müssen noch viel lernen! Dazu gehören auch Projekte, die nicht zu 100 Prozent auf grüne Energieträger zurückzuführen sind. Busse und künftig Müllwagen müssen zwar nicht zwingend mit Wasserstoff fahren, aber es ist ein interessantes Anwendungsfeld. Für Pkws ist das eindeutig nicht der richtige Weg: Hier ist die Batterie die bessere Wahl.

Und wir werden viel, viel mehr Wasserstoff brauchen, als wir selber herstellen können. Wir müssen ihn also importieren. Da stellt sich automatisch die Frage, in welcher Form Wasserstoff transportiert wird. Wenn man überlegt, Wasserstoff aus Chile, Australien und Namibia zu importieren, sind wir mittendrin in der Frage: Wie macht man das auf so große Entfernungen? Vermutlich nicht in reiner Form, sondern als Ammoniak, Methanol und andere Grundstoffe, die man direkt in der chemischen Industrie einsetzen kann, um Rückumwandlungsverluste zu vermeiden.

Das Wuppertal Institut, das Sie leiten, meint: In der Einführungsphase brauche es pragmatische Regeln. Welche denn?

Wenn man nicht aus dem Vollen schöpfen kann, muss man Prioritäten setzen. Der knappe Wasserstoff sollte vor allem dort eingesetzt werden, wo es keine klimaneutralen Alternativen gibt und die Umwandlungsverluste gering sind. Priorität muss der Einsatz in der Industrie und im Kraftwerk haben, um die hohe Fluktuation der erneuerbaren Energien abzupuffern. Noch viel wichtiger in der Aufbauphase ist es aber, nicht so strenge Kriterien dafür festzulegen, was als klimaverträglicher Wasserstoff gilt. Die sehr strengen EU-Regeln führen dazu, dass die Investitionsanreize gering sind. Man kommt nicht so richtig aus den Puschen. Deswegen müssen zumindest in der Einführungsphase einfache, pragmatische Regeln gesetzt werden. Mittelfristig sollten die Regeln strenger werden.

Heißt das: Nicht grüner Wasserstoff wird grün gelabelt?

Man darf nicht einfach ein grünes Label drüberstülpen. Das wäre völlig falsch – und würde die Akzeptanz gefährden. In der Anfangszeit sollte man das transparent machen: Wir brauchen teilweise noch Wasserstoff aus fossilen Trägern. Es gibt Diskussionen darüber, blauen Wasserstoff aus Erdgas zu gewinnen, wobei das CO2 abgetrennt und über lange Zeit eingelagert wird. Diese Diskussion müssen wir offen führen. Es geht also darum, Strukturen aufzubauen, die mittel- und langfristig eine Dynamik erzeugen. Wir können nicht 10 bis 15 Jahre lang warten, bis wir genug erneuerbare Energien haben, sondern wir müssen uns jetzt schon für das breite Ausrollen von grünem Wasserstoff bereit machen. Deswegen sollten wir jetzt am Anfang ein bisschen pragmatischer, aber eben auch transparent an die Sache herangehen.

Die Chemie produziert oft Wasserstoff als Nebenprodukt. Welchen Anreiz gibt es für Power-to-Gas?

Gute Anreizsysteme wären zum Beispiel Märkte für nachhaltige Produkte wie grünen Stahl, der mithilfe von grünem Wasserstoff erzeugt wird. Aber alles steht und fällt mit der Frage, was förderfähiger Wasserstoff ist: Das muss pragmatischer und vor allem klar formuliert werden. Indirekt schafft auch der steigende CO2-Preis Anreize. Zum Beispiel werden wasserstoffbetriebene Busse im Vergleich zu Dieselfahrzeugen wettbewerbsfähiger. Wir müssen die CO2-Preise weiter erhöhen, um solche Projekte attraktiv zu machen.

Zur Person

  • Professor Manfred Fischedick, Jahrgang 1964, ist Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie – das ist ein gemeinnütziger Thinktank.
  • Er ist Mitautor des sechsten Sachstandberichts, den der Weltklimarat (IPCC) zum Klimawandel vorgelegt hat.
  • Fischedick ist auch an der Bergischen Universität Wuppertal tätig, als Professor an der Schumpeter School of Business and Economics.

H2-Projekte in und um Wuppertal

Seit 2020 tut sich in der Region schon eine Menge in Sachen Wasserstoff.

  • Grüne Energie aus Abfall: Die thermische Abfallbehandlungsanlage der Abfallwirtschaftsgesellschaft Wuppertal (AWG)verbrennt täglich mehr als 1.000 Tonnen Abfall und erzeugt auf diese Weise Strom und Fernwärme für mehrere Tausend Haushalte. Weil der Abfall zu mehr als der Hälfte biologischen Ursprungs ist, wurde die erzeugte Energie als erneuerbar zertifiziert. Mit einem Teil dieses Ökostroms betreibt die AWG eine Elektrolyse und gewinnt damit aus Wasser grünen Wasserstoff (chemische Formel: H2).
  • Busse mit Brennstoffzellen: Linienbusse werden in Wuppertal seit 2020 direkt an der AWG-Anlage mit Wasserstoff betankt. Die H2-Tankstelle versorgt bisher 20 Brennstoffzellen-Busse der Wuppertaler Stadtwerke (WSW). Bei der Fahrt durch die bergige Region stoßen diese Gelenkbusse weder CO2 noch umweltschädliche Stickoxide aus: Aus dem Auspuff kommt nur noch Wasserdampf! Zudem sind die Busse fast lautlos unterwegs. Die AWG testet übrigens auch schon einen Müllwagen mit Wasserstoffantrieb.
  • Modellregion Wuppertal: Das „Wuppertaler Modell“ als geschlossene Wertschöpfungskette ist weltweit einzigartig, hat aber schon Nachahmer. Düsseldorf, Duisburg, Wuppertal und der Kreis Neuss haben sich zur Modellregion Düssel.Rhein.Wupper zusammengeschlossen: Bis 2030 will man mehrere Hundert Busse, Lastwagen und Sonderfahrzeuge mit H2-Antrieb auf die Straße schicken.
  • Grünere Produktion: Die Herstellung von Arznei-Wirkstoffen ist energieintensiv. Der Bayer-Standort Bergkamen braucht beispielsweise Dampf für das Beheizen seiner Rührwerke. Bisher wird dieser Dampf durch das Verbrennen von Erdgas erzeugt. Gemeinsam mit Partnern entwickelt Bayer Bergkamen Industriebrenner, die für Erdgas-Wasserstoff-Gemische sowie für reinen Wasserstoff ausgelegt sind.
  • Wasserstoff-Cluster: Im Chempark Bergkamen soll ein Wasserstoff-Cluster entstehen. Die Energieversorger E.on, Iqony und Westenergie wollen grünen Wasserstoff auf Basis von importiertem Ammoniak erzeugen und per Pipeline oder Tankschiff liefern.
  • Wasserstoffnetz: Chempark-Betreiber Currenta will ab 2030 die Standorte Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen an das geplante Wasserstoffnetz von Thyssengas anbinden. Man will eine bestehende Erdgasleitung umrüsten und eine neue bauen. Thyssengas hat mehrere regionale H2-Cluster mit energieintensiven Unternehmen, mit Currenta kommt ein industrielles Schwergewicht dazu.
Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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