„Rund 500.000 Kilometer fährt ein Zug – pro Jahr! Kein Wunder, dass seine Räder regelmäßig zur Generalüberholung müssen. Und fast alles, was auf Schienen fährt, kommt dazu in die Serviceabteilung von GHH Radsatz in Oberhausen. Unebenheiten werden abgeschliffen, Getriebe instand gesetzt, Bremsscheiben und Lager ausgetauscht, der Speziallack gegen Korrosion wird neu aufgetragen.

Rad nicht neu erfunden – aber verbessert

Mit bis zu 30.000 Rädern auf 3.000 Radsätzen und sogenannten Losradachsen pro Jahr zählt GHH Radsatz zu den Marktführern. „Die Radsätze sind Hochsicherheitsteile“, erklärt Pascal Hauck, Produktionsleiter Service, den hohen Aufwand. Kein Bauteil verlässt das Werk ohne mehrere Qualitätsprüfungen.

Jährlich werden Millionen in Forschung und Entwicklung sowie in den Ausbau der Produktion investiert. Auch wenn man das Rad nicht immer neu erfinden muss – verbessern lässt es sich noch immer.

Beispiel: die neuen Schallabsorber, die die Rollgeräusche um bis zu 6 Dezibel reduzieren. Das ist gefühlt nur halb so laut wie gewöhnlich.

Pascal Hauck steht wie die GHH für den Strukturwandel im Ruhrgebiet. Der 33-Jährige stammt aus Bottrop. Seine Ausbildung zum Industriemechaniker hat er auf der Zeche Prosper Haniel gemacht, die 2018 als letzte im Pott schloss. Hauck bildete sich zum Techniker weiter. Weil ihm das gut von der Hand ging, riet man ihm zum Studium. An der Hochschule Ruhr West (HRW) studierte er Wirtschaftsingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Maschinenbau – und erhielt wegen guter Leistungen ein Firmenstipendium von GHH.

Dank der monatlichen Unterstützung von 300 Euro konnte Hauck sich dem Studium widmen und lernte den Radsatzhersteller in- und auswendig kennen. „Ich habe alle Abteilungen durchlaufen, viele Kollegen kennengelernt, Praktika gemacht, mein Auslandssemester bei der tschechischen Mutter Bonatrans verbracht, als Werkstudent gearbeitet und meine Abschlussarbeiten zu einem GHH-Thema geschrieben“, erinnert er sich.

Hintergrund: GHH vergibt seit 2012 Stipendien an leistungsstarke Studierende der HRW. Jährlich profitieren bis zu zwei Studierende von dieser Förderung, die jeweils für zwei Semester gilt.

Für den Enkauf von neuen Maschinen zuständig

Pascal Hauck wurde nach seinem Master-Abschluss 2017 von GHH übernommen. Der ehemalige Stipendiat war für den Einkauf neuer Maschinen zuständig: Da geht es um mehr als 2 Millionen Euro pro Jahr.

„Ganz schön viel Verantwortung für jemanden frisch von der Uni!“, sagt Werkdirektor Matthias Battermann. „Aber er hat schnell sehr große Projekte gemanagt. Er kann Mitarbeiter davon überzeugen, dass seine Lösung die richtige ist.“

Viele kannten ihn auch von seinen früheren Einsätzen im Unternehmen schon, „das hat bei der Akzeptanz geholfen“, bemerkt Hauck. Wie sein Chef Battermann kann auch er jeder Firma nur empfehlen, Nachwuchskräfte frühzeitig ins Unternehmen einzubinden. „Im Bewerbungsgespräch kann sich einer vielleicht gut verkaufen, aber das ist kein richtiges Kennenlernen. Aber gerade auch Stipendien sind ein super Weg, talentierte Leute zu finden.“

„Wer schon selbst geschraubt hat, hat eine ganz andere Glaubwürdigkeit“

Seit drei Jahren ist Hauck Produktionsleiter Service und für ein Team aus 22 Werkern und vier Verwaltungskräften verantwortlich. Den zweiten Bildungsweg mitgemacht zu haben, hilft dem Ingenieur bei seinen Führungsaufgaben: „Wer schon selbst geschraubt hat, hat eine ganz andere Glaubwürdigkeit.“

„Sein“ Servicebereich, wo gebrauchte Radsätze begutachtet, überarbeitet und neuwertig an die Kunden zurückgeschickt werden, ist relativ jung und wächst. „Jeder Tag bringt etwas Neues“, freut sich Hauck über die Abwechslung in seinem Job: „Das ist das Beste und gleichzeitig die größte Herausforderung.“ Nur Bahn fährt der junge Ingenieur kaum, obwohl er ein Deutschlandticket gekauft hat: Zwischen seiner Wohnung und dem Arbeitsplatz fahren nur Busse.

Das Unternehmen

GHH Radsatz, Teil der tschechischen Bonatrans-Gruppe, ging aus dem einst riesigen Industriekomplex der über 200 Jahre alten Gutehoffnungshütte in Oberhausen hervor. Die ersten Radsätze am Standort wurden 1808 gefertigt.

Heute beschäftigt das Unternehmen rund 300 Mitarbeitende und baut Räder, Wellen, Schallabsorber und ganze Radsätze für Loks, Hochgeschwindigkeitszüge, Güterwaggons, Regional- und Straßenbahnen sowie Niederflurfahrzeuge.

Mit Kunden in aller Welt wird ein Jahresumsatz von rund 115 Millionen Euro erzielt.

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Auf dem klassischen zweiten Bildungsweg: über eine Ausbildung zum Industriemechaniker.

Was reizt Sie am meisten?

In unserem relativ jungen Servicebereich kann ich vieles mitgestalten.

Worauf kommt es an?

Auf Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen. Führungsaufgaben leben vom Kontakt zu den Mitarbeitern und einem vernünftigen zwischenmenschlichen Verhältnis.

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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