Stuttgart. Das Geschäftsklima in der baden-württembergischen Industrie hat sich laut L-Bank im Frühjahr etwas verbessert – obwohl die Kostenschocks durch Materialengpässe und hohe Energiepreise immer noch nachwirken. Heißt: „Die Unsicherheiten sind nicht vom Tisch.“ So schätzt Professor Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln die Lage ein.

Außerdem steckt die Metall- und Elektro-Industrie (M+E) bekanntlich in tiefgreifenden Umbrüchen hin zur E-Mobilität und zur CO2-Neutralität. Ist da eine De-Industrialisierung zu befürchten, wie manche glauben? Grömling macht Mut: „Solche Strukturkrisen sind nichts Neues. Strukturwandel ist letztlich ein permanenter Prozess. Unternehmerische Geschäftsmodelle müssen immer wieder neu auf den Prüfstand gestellt werden.“

Die deutsche Industrie hat sich bisher immer gut behaupten können

Die deutsche Industrie ist denn auch krisenerfahren und hat sich bisher immer gut behauptet. Aber: Die globalen Herausforderungen, die seien derzeit schon gewaltig, gibt der Experte zu bedenken. Die Zukunft des heimischen Standorts hänge daher auch vom politischen Willen ab: Die Unternehmen brauchen laut Grömling Entlastung – bei den Steuern, bei der Regulierung, bei den Energiepreisen. „Letztendlich geht es da auch um eine gesamtgesellschaftliche Entscheidung, ob wir die Industrie weiterhin als Basis unseres Wohlstands anerkennen.“

Die Investitionen im In- und im Ausland ergänzen sich oft

Speziell zum Südwesten sagt der Ökonom: „Die baden-württembergische Industrie hat Zuversicht und Vertrauen in ihre Stärken. Sie hat tolle Produkte und pflegt einzigartige Netzwerke für die Zusammenarbeit untereinander. Und sie hat eine sehr hohe Innovations- und Investitionstätigkeit.“ Dass Unternehmen verstärkt auch im Ausland investieren, sei unausweichlich. Dort seien eben wichtige Märkte, an denen man teilhaben müsse. Was aber nicht zwingend zulasten der heimischen Standorte ginge: Investitionen im In- und im Ausland würden sich nicht selten ergänzen.

aktiv hat sich in der Branche umgeschaut: Wofür haben M+E-Unternehmen hierzulande in letzter Zeit sehr viel Geld in die Hand genommen? Sechs Beispiele stellen wir vor.

ProMinent: Agile Entwicklung

ProMinent ist Anbieter von Komponenten und Systemen für die Dosiertechnik, insbesondere für die Wasseraufbereitung. Rund 1 Million Euro hat das Familienunternehmen allein im letzten Jahr für den Firmensitz in Heidelberg ausgegeben. Das Geld floss in die agile Neuausrichtung der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen: Investiert wurde in die Modernisierung von Bürogebäuden, in Software-Tools, in Prozessoptimierungen sowie in Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Dadurch sollen die Entwickler noch schneller auf sich ändernde Anforderungen von Kunden und Märkten reagieren können. So will ProMinent seine globale Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Lapp: Digitalisierung und Automatisierung

Kabel-Spezialist Lapp hat im abgelaufenen Geschäftsjahr 40,2 Millionen Euro in Stuttgart investiert, schwerpunktmäßig in Software und Digitalisierung. Auch das „Enterprise Resource Planning“ wurde ausgebaut – ein System für die Automatisierung und Optimierung von Prozessen in den Bereichen Finanzen, Personal, Fertigung, Lieferkette, Services und Beschaffung. Außerdem wurden verschiedene Produktionswerke erweitert und stärker automatisiert – im Ausland, aber auch in Deutschland. „Wir wollen technologisch und kulturell vorne sein und weiterhin erfolgreich wachsen“, sagt Matthias Lapp, Geschäftsführer des Familienunternehmens.

Hensoldt Optronics: Neues Werk

Spatenstich bei Hensoldt Optronics: Ende März 2023 hat der Bau eines neuen Werks begonnen, und zwar in Oberkochen, wo der Anbieter von Sensorlösungen seinen Sitz hat. Das Unternehmen produziert hochpräzise optoelektronische Messgeräte für spezielle Belichtungssysteme in der Halbleiter-Industrie. Die Nachfrage von Herstellern dieser Lithografiesysteme wächst zurzeit stark. Außerdem liefert die Hensoldt-Gruppe militärische Ausrüstung für die Bundeswehr und Mitgliedsstaaten der Nato. Der neue Standort soll 2025 bezogen werden. Rund 100 Millionen Euro lässt Hensoldt sich den Neubau kosten.

Boysen: Wasserstoff-Tankstelle

Der in Altensteig ansässige Automobil-Zulieferer Boysen setzt auf Zukunftstechnologien: Im Oktober 2022 startete das Unternehmen in Simmersfeld im Nordschwarzwald den Bau eines eigenen Entwicklungszentrums für Wasserstofftechniken. Dort will der Spezialist für Abgastechnik an der Herstellung von grünem Wasserstoff arbeiten und 2024 eine Wasserstoff-Tankstelle in Betrieb nehmen. Das gesamte Investitionsvolumen umfasst etwa 40 Millionen Euro. Am Standort Nagold wird außerdem die Entwicklung von Wasserstoff-Tanksystemen für schwere Nutzfahrzeuge vorangetrieben.

Mapal: Neue Fertigungstechnologie

Viel Geld investiert hat auch Mapal, der Aalener Hersteller von Präzisionswerkzeugen für die Metallbearbeitung. Und zwar in seinen Standort Winterlingen auf der Zollernalb. 2022 ging ein Millionenbetrag in die Fertigungstechnologie von Kegelsenkern. Investiert wird auch in die Verkettung und Automatisierung von Prozessen, etwa zur Verkürzung von Rüst- und Standzeiten. Frank Dreher, Mitglied der Unternehmensführung, erklärt: „Wir setzen ganz bewusst auf die Produktion am Standort Winterlingen. Mit den Investitionen stellen wir kurze Lieferzeiten und ein zuverlässig hohes Qualitätsniveau sicher.“

Rolls-Royce Power Systems: Wasserstoff-Infrastruktur

In diesem Jahr stehen beim Motorenhersteller Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen Investitionen in eine neue Wasserstoff-Infrastruktur an. Mit selbst produziertem grünen Wasserstoff sollen bald Wasserstoffmotoren und Brennstoffzellensysteme der Marke mtu getestet werden. Im Vorjahr hat das Unternehmen eine neue Motorenmontage gebaut beim Materialwirtschaftszentrum in Kluftern (einer Ortschaft von Friedrichshafen). Die alten Produktionshallen werden nun saniert. Dazu CEO Jörg Stratmann: „Wir investieren unverändert gezielt in Forschung und Entwicklung und auch in den Neubau und die Modernisierung der Produktion.“

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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